Liebesdienst by Howard Jacobson

Liebesdienst by Howard Jacobson

Autor:Howard Jacobson [Jacobson, Howard]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3421044066
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2012-11-11T23:00:00+00:00


Marisa wusste ebenfalls nicht, ob sie nun verabredet waren oder nicht, auch sie war leicht verwirrt. Sie hatte die Befürchtung, sie könnte sich bloßgestellt haben. Weil sie zum einen Marius zu erkennen gegeben hatte, dass ihr das Bild unter die Haut ging, und zum anderen gezeigt hatte, dass sie es sich ungern anmerken ließ. War es nicht genau das, was sie an dem Porträt der Countess of Blessington so rasend machte – dass eine wohlhabende und erfolgreiche Frau auf dem Höhepunkt ihrer Macht und ihres Einflusses unfähig war, ihre Verletzlichkeit zu verbergen? Nein, nicht unfähig, sondern unwillig. Marisa konnte gut verstehen, warum von dem Bild, in Byrons Worten, »ganz London schwärmte«. Man schwärmte, wovon bei einer Frau üblicherweise immer ganz London schwärmte: dass sich das bittende kleine Mädchen in ihr erhalten hatte. Ein empfindliches und ein wenig unehrliches Mädchen, ein erbärmliches gar, trotz Pelz und Pracht; hinter der Fassade der Selbstsicherheit ein Anflug von Unsicherheit und Schutzlosigkeit. Sollte das etwa ein unauslöschliches Kennzeichen von Frauen sein, ganz gleich, wie weit sie in die Welt der Männer vorgestoßen waren – der Wunsch, von ihnen geliebt und gerettet zu werden?

Und sie, Marisa, hatte diese Bedürftigkeit in ihrer Miene offenbart. Das war unverzeihlich. Das nächste Mal würde sie Marius ein anderes Gesicht zeigen.

Woher ich wusste, dass sie überhaupt ein nächstes Mal in Erwägung zog? Ich lebte in ihrem Kopf, daher. Wären wir siamesische Zwillinge, mein Herz wäre nicht sensibler auf ihr Herz abgestimmt. Aber das galt auch andersherum. Ich reichte ihr meine Ängste über ihre Blutbahn weiter, wo sie sie schließlich mit der Zeit in ihre eigenen Wünsche umwandelte.

Zum Vortrag über Madame de Pompadour in der nächsten Woche erschien sie nicht. Eine neuerliche Blöße wollte sie sich ersparen. Doch in der Woche darauf traf sie sich zu einem späten Mittagessen mit Flops im Café Bagatelle im Skulpturengarten des Museums – zwei Stunden bei einem Teller Rucolasalat mit geriebenem Parmesan und noch mal eine halbe Stunde, versunken in intensiver Betrachtung der Urnen, wie es keine Urne je verdient hätte – und kehrte anschließend Punkt vier Uhr in den Raum zurück, in dem der nächste Vortrag der Reihe gehalten wurde.

Marius war nicht da.

Sie war etwas enttäuscht. Sie sah gut aus, fand sie, in ihrem Tulpenrock und dem breiten Ledergürtel, den hochhackigen Stöckelsandalen, in denen man ihre lackierten Zehennägel sah, den großen metallisch schillernden Ohrringen und natürlich einer weißen Bluse, die bei jeder Bewegung leise raschelte. Sie musste blendend aussehen, fand sie. Doch er war nicht da, um sich blenden zu lassen. Sie war eher überrascht als gekränkt. Normalerweise trog ihr Instinkt sie in dieser Hinsicht nicht. Wenn sie damit rechnete, einen Mann zu treffen, dann traf sie ihn auch. »Ich zaubere sie herbei«, witzelte sie in ihrem Tagebuch, das sie liegen gelassen hatte, in der Absicht, vermutlich, dass ich es las. »Andere verbiegen Löffel. Ich zaubere Männer herbei.«

Es war keine großspurige Angeberei, eher ein Kommentar zur Grausamkeit der Umstände. Herbeizaubern von Männern war ihr Gebrechen.

In diesem Fall jedoch versagten ihre Zauberkünste. Marius blieb aus.

Sie versuchte, ihn aus dem Gedächtnis zu tilgen.



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